Amt Emster-Havel
 
  Streit um die Gebietsreform  
     
 
 

Sinnvolle Zukunft - aber wie?

 
 
Das Amtsgebäude vom
Amt Emster-Havel in Jeserig

Das Amt Emster-Havel steht vor dem Aus. Oder kann es doch noch gerettet werden?
Wie geht es nach der Kommunalwahl im Land Brandenburg am 26. Oktober 2003 für die Einwohner der sechs Amtsgemeinden Götz, Gollwitz, Jeserig, Schenkenberg, Trechwitz und Wust weiter? Warum ziehen nicht alle an einem Strang? Wolfgang Kania (49), seit Gründung des Amtes Emster-Havel am 01.01.1993 mit zahlreichen Leitungsaufgaben betraut und mittlerweile amtierender Amtsdirektor, auf der Suche nach Antworten.

Wolfgang Kania, täuscht der Eindruck, dass die Situation mächtig verfahren ist?

Der täuscht ganz und gar nicht. Die Gemeinden sind teilweise untereinander zerstritten, arbeiten auch gegeneinander, obwohl in jedem einzelnen Ort Potentiale stecken, die jeder anderen Amtsgemeinde auch zugute kommen könnten. Fakt ist, vier Orte wollen das Amt so erhalten, wie es jetzt ist. Götz und Gollwitz hingegen beabsichtigen, das Amt zu verlassen. Damsdorf ist diesen Schritt ja bereits am 1. April 2002 gegangen und gehört schon zur Gemeinde Kloster Lehnin.

Das Amt Emster-Havel besteht seit 01.01.1993 und hat doch eine beachtliche Entwicklung genommen, oder?
Die Ausgangssituation ließ das ja auch zu! Das Amt bestand damals aus sieben Gemeinden mit völlig unterschiedlichen Voraussetzungen. Alle sieben Orte zusammen boten jedoch allerbeste Chancen, ein auf Jahre stabiles Amt mit Perspektive für seine Bürger aufzubauen. Dank zahlreicher Wohnungsbaubemühungen sind wir schnell von ursprünglich etwa 5.000 Einwohnern auf 7.000 angewachsen. Doch diese Entwicklung verlief nicht in allen Orten reibungslos.

Lassen Sie uns doch bitte die Erfolge der Amtsverwaltung von Emster-Havel beleuchten!

Wir müssen uns nicht verstecken, ganz im Gegenteil. Da wäre beispielsweise die Kirschbergsiedlung in Schenkenberg. Zahlreiche komfortable und schöne Einfamilienhäuser sind dort entstanden und damit für viele Familien ein neues, behagliches Zuhause. Wir haben uns erfolgreich dafür eingesetzt, das Handwerkerzentrum des Landes Brandenburg nach Götz zu bekommen.
1995 konnten wir mit Fördermitteln des Landes unser neues, repräsentatives Amtsgebäude in Jeserig bauen. Auch wenn hier momentan einige Büroräume ungenutzt sind, wird es nach einer möglichen Amtsauflösung nicht völlig leer stehen.
Oder nehmen Sie unseren Straßenbaustützpunkt. Wir sind weit und breit das einzige Amt, das einen solchen Bauhof vorzuweisen hat. Das heißt, in eigener Regie werden Straßen gebaut, der Winterdienst sichergestellt oder auch die Straßenränder nicht nur in unseren Amtsgemeinden gemäht. Ohne unsere Arbeitsförderungsgesellschaft und ihr Engagement in punkto Natur wäre die Umgebung unserer Amtsgemeinden nicht ein solches Kleinod. Die Gerätehäuser der Freiweilligen Feuerwehren in allen Gemeinden haben wir auf Vordermann gebracht, die Feuerwehr-Jungs haben feuerfeste Westen und anderes nützliches und manchmal lebensrettendes Zubehör bekommen. Der neue Rüstwagen wird in Kürze der Freiwilligen Feuerwehr von Götz übergeben.
Paradebeispiel für das Amt ist natürlich der gesamte Ort Wust. Mit dem Einkaufs-
zentrum und seinen 70 Geschäften, das die Stadt Brandenburg vor zehn Jahren nicht wollte, sind die 420 Wuster die reichsten Einwohner, zumindest was die Pro-Kopf-Steuereinnahmen betrifft. Die dortige Gemeindevertretung investiert dieses Geld ins Dorf, und das sieht man auch.
Auch unser gesellschaftliches Leben kann sich sehen lassen. In Schenkenberg zum Beispiel hat die Freiwillige Feuerwehr einen Feuerwehrverein gegründet, der unglaublich aktiv das Dorfleben organisiert.
In Trechwitz ist ein Miteinander der Generationen im Jugend- und Freizeitverein seit Jahren gewachsen, das ist schon einmalig. Oder nehmen Sie den Götzer Schützenverein und seinen eigenen Schießplatz, der ist auch in den zehn Jahren Amt Emster-Havel entstanden.
Es gäbe da noch vieles mehr hervorzuheben. Aber ich denke, die Geschichten aus den einzelnen Gemeinden, die man hier im Heft nachlesen kann, spiegeln auf viel lebendigere Art unsere gemeinsamen Erfolge im Amtsbereich wieder.

Das Protestschild gegen die Eingemeindung

Das klingt alles nach sehr viel Harmonie, nach alle-ziehen-an-einem-Strang. Wenn das wirklich so wäre, dann gäbe es jetzt die Amts-Auflösungserscheinungen nicht. Wo liegt also das Problem?

In der Natur des Menschen. Wo sie agieren, sind Emotionen im Spiel, werden Fehler gemacht, gibt es Missverständnisse, Neid und Enttäuschungen. Das ist bei uns nicht anders.
Hinzu kommt, dass hier so manches historisch gewachsen ist. Zwischen den Götzern und Jeserigern besteht seit dem 19. Jahrhundert ein gespanntes Verhältnis. Als man beim Bau der Bahnstrecke zwischen Berlin und Magdeburg nach einem geeigneten Standort für einen Haltepunkt suchte, lehnten die Jeseriger ab. Die Götzer hingegen griffen begeistert zu. Über so viel Kurzsichtigkeit der Jeseriger machten sich die Götzer lustig. Und so gab es immer wieder Situationen, in denen die Jeseriger den Götzern oder die Götzer den Jeserigern beweisen mussten und immer wieder müssen, wer der Bessere oder Cleverere ist.
So richtigen Zusammenhalt gibt es momentan in Sachen Erhaltung des Amtes bei den vier interessierten Gemeinden Jeserig, Trechwitz, Schenkenberg und Wust. Denn die Bewohner dieser vier Gemeinden sehen keinen Sinn in einer Amtsauflösung und versuchen nun, mittels Verfassungsbeschwerde gegenzusteuern.

Mit welchem Ziel?

Zunächst einmal, um die Kommunalwahlen vom 26.10.2003 auszusetzen. Die sollen aber wie vorgesehen stattfinden. Das hat das Innenministerium im April 2003 nun definitiv beschlossen, aber die vier Gemeinden wollen das so nicht hinnehmen.
Haben sie Erfolg vor dem Verfassungsgericht, dann sind alle anderen getroffenen Be-schlüsse hinfällig, das Amt Emster-Havel bliebe be-stehen und damit alle jetzigen sechs Gemeinden im Amt.
Wird die Beschwerde abgewiesen, geht nach der Kommunalwahl alles au-tomatisch, wie es das Gemeindeneugliederungsgesetz geregelt hat. Und das heißt: Götz, Jeserig und Schenkenberg bilden eine neue Gemeinde Groß Kreutz/Emster, Wust und Gollwitz werden in Brandenburg eingemeindet, und Trechwitz muss zur Gemeinde Kloster Lehnin.

Warum widersetzen Sie sich einer Entwicklung, die dazu betragen soll, Steuergelder einzusparen?

Wenn die Reform entscheidende Spareffekte hätte, dann gäbe das Ganze einen Sinn und niemand würde dagegen vorgehen. Aber das ist ja nicht so. Das gesamte jetzige Personal wird in der neu zu bildenden Gemeinde sowie in der Gemeinde Kloster Lehnin und in der Stadt Brandenburg gebraucht. Wo sehen Sie da Sparpotentiale? Oder wenn eine Verwaltung in zehn Jahren auf feste Füße gestellt wurde, solide arbeitet und bestimmte Strukturen sich bewährt haben, dann geht das Ganze nach Ämterneubildung von vorne los, und das kostet erfahrungsgemäß mehr als man spart. Also, wo liegt der tiefere Sinn der Reform? Ich sehe hier nur eine nicht nachzuvollziehende Eingemeindungshysterie.

Können Sie das näher erklären?

Vergiss-mein-nicht

Das begann schon 1991. Die Stadt Brandenburg ist seit Jahren bestrebt, die ringsum liegenden Gemeinden in ihre Verwaltungshoheit zu be-kommen. Seit 1992 ge-hören Schmerzke, Klein Kreutz und Götthin zum Beispiel zur Stadt. Um einige andere Orte wird sich intensiv bemüht. Das verstehe ich unter Eingemeindungshysterie, wenn ohne Sinn und Verstand alles in die Stadt zwangseingemeindet wird. Der Schuldenberg der Stadt wird davon auch nicht kleiner.
Brandenburg ist flächenmäßig eine der größten Kommunen in Deutschland. Doch obwohl immer mehr Orte dazu kommen, nimmt die Einwohnerzahl stetig ab. Brandenburg hatte mal 90.000 Einwohner, jetzt sind es noch ca. 75.000. Da ist es für mich nicht nachvollziehbar, dass immer mehr Gemeinden ihre funktionierenden Strukturen einer ungewissen Zukunft opfern müssen.
Und Fakt ist nun einmal, nach Eingemeindungen geht es nie vorwärts. Genau genommen heißt das immer: Rückentwicklung oder Stagnation. Wer will das freiwillig für sein Dorf? Aber sämtliche Argumente prallen bei den Verantwortlichen im Brandenburger Innenministerium unreflektiert ab.

Was ist da konkret vorgefallen?

Ich möchte hier nicht Details wiedergeben. Aber so viel Ignoranz habe ich noch nie erlebt. Auskünfte oder Antworten wie "was interessiert mich denn Ihr Bürgerentscheid", anzügliche Karikaturenkritzeleien eines Verantwortlichen während einer ordentlichen Anhörung und andere Vorkommnisse tragen nicht gerade dazu bei, den Glauben an die Demokratie im Lande zu festigen.

Wenn die Verfassungsbeschwerde abgewiesen wird und das Amt Emster-Havel aufgelöst werden muss, was geht dann verloren?

Gewachsene Strukturen und bewährte Zusammenarbeit brechen weg, Engagement und Enthusiasmus bei der Dorfgestaltung auch ideeller Natur bleiben mehr und mehr auf der Strecke, und selbstverständlich nimmt auch die Politikverdrossenheit zu.

Welche Auswirkungen hat dieser "Schwebezustand" auf die Arbeit im Amt?
Was verwalten Sie denn da momentan überhaupt, denn ein perspektivisches Arbeiten ist ja wohl nicht drin.

Wir erledigen Routinearbeiten, überarbeiten aktuelle Dinge und versuchen für den Negativfall vorzubereiten, was vorbereitet werden kann und muss. Ich habe den Eindruck, wir treten auf der Stelle. Vieles muss liegen bleiben. Unsere Computervernetzung beispielsweise. Wir benötigen dringend Software für Finanzen und Kataster. Schaffen wir die an oder nicht? Geben wir das Geld aus oder nicht? Da macht Arbeit nicht wirklich Spaß.

Gestatten Sie eine rein menschliche Frage: Wie fühlen Sie sich angesichts solcher Perspektiven?

Na, das tut schon alles sehr weh. Zwar haben wir darin Übung, seit Damsdorf aus dem Amt ausgeschieden ist, denn Damdsorf hat von der gesamtpositiven Entwicklung des Amtes nicht unwesentlich profitiert. Irgendwie konnten die Damsdorfer die Gollwitzer und die Götzer mit ihrer Amtsflucht anstecken.
Da ist nicht immer alles bis ins Detail zu uns ins Amt vorgedrungen, was es uns vielleicht auch nicht ermöglicht, die Argumente nachvollziehen zu können.

 

 

 
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