Heinz
Schäfer kennt sein Dorf und dessen
Bewohner aus dem Effeff. 1966 zog er aus
Brandenburg/Havel in die nahe gelegene
Gemeinde. Zwei Jahre später saß
er in der Gemeindevertretung, mischte
auch mal in Gollwitz mit. Engagement für
die "Scholle", auf der er lebt,
ist für den heute 72jährigen
Ehrensache. Selbstverständlich also,
dass er 1993 für das Bürgermeisteramt
kandidierte. Die Wuster schenkten ihrem
ehemaligen ABV das Vertrauen und wählten
ihn 1998 erneut zu ihrem Dorfoberhaupt.
Heinz Schäfer, was sind Ihre Wuster
für Menschen?
Jeder ist natürlich anders. Was
aber wohl für alle 420 Wuster gilt,
ist das Engagement für ihren Ort
und das Amt Emster-Havel.
Was waren das für Zeiten, als wir
Mitte der 90er die Ärmel hochgekrempelt
und aus unserem Dorf das heute nicht zu
übersehende Schmuckstück gemacht
haben! Auch das Miteinander der Wuster,
Gollwitzer und Jeseriger war einfach großartig!
Mit der Gemeindegebietsreform hat sich
das geändert. Seitdem steckt ein
Keil zwischen den Orten und den Bevölkerungen.
Worauf ist denn die reichste Gemeinde
im Amt besonders stolz?
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Altehrwürdiges
wurde saniert und rekonstruiert
- die ehemalige Schule von Wust
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Auf alles, was wir in den vergangenen
Jahren erreicht haben! Dank der paradiesischen
Finanzlage konnten wir sehr schnell sicht-
und spürbar vieles erledigen. Bereits
1994/95 wurde die Straßenbeleuchtung
repariert. Unsere Straßen sind asphaltiert,
die Fußwege mit finanzieller Beteiligung
der Bürger ebenfalls. Viel Geld haben
wir in unsere Kita gesteckt. Der Altneubau
aus DDR-Zeiten wurde von Grund auf saniert
und ist nun völlig wärmeisoliert,
hat einen neuen Sanitärbereich und
ein neues Dach. Was wird daraus, wenn
wir nach Brandenburg gezwungen werden?
Ich kenne kein Dorf, in dem es für
25 Kinder eine Kita mit drei Mitarbeitern
nebst nötigem Reinigungspersonal
gibt. Bleibt das Amt, können wir
das ganz locker über die Ge-meinde
weiter finanzieren.
Unseren Kulturraum im Ort haben wir trockengelegt
und die Fassade gestrichen.
Das jüngste Verschönerungsobjekt
ist unser Feuerwehrgerätehaus. Es
wurde gerade auch mit Fördergeldern
vom Amt fertig gestellt.
In diesem Jahr gab es außerdem eine
schöne neue Bushaltestelle genau
an unserem Festplatz. Dort wird in jedem
Jahr das große Wuster Osterfeuer
abgebrannt. Der Platz wiederum hat jetzt
auch seinen eigenen Stromanschluss. Damit
ist das rustikale Drum-herum, also Musik,
Essen und Trinken, noch besser zu organisieren.
Und - das ist wohl nicht nur im Amtsbereich
einmalig: wir leisten uns einen von der
Gemeinde bezahlten Gemeindearbeiter. Der
hält das gesamte Jahr über unser
Dorf in Schuss.
Die Gemeindevertretung einer reichen
Gemeinde wird doch ganz sicher auch von
Vereinen immer wieder um Unterstützung
"angebettelt", oder?
Bei uns muss niemand betteln, bei uns
wird freiwillig verteilt! Die Vereine
und Einrichtungen im Ort und auch in anderen
Amtsgemeinden erhalten von uns unaufgefordert
regelmäßig Zuschüsse.
Nicht nach dem Gießkannenprinzip,
sondern nach Bedarf und in Größenordnungen,
mit denen sie wirklich etwas anfangen
können. Der Gedanke, dass das schon
bald nicht mehr so sein soll, macht mich
nicht nur traurig, sondern zunehmend wütend.
Die Wuster gehören ja zu den schärfsten,
einfallsreichsten und konsequentesten
Gegnern der Verwaltungs- und Gebietsreform.
Warum das?
Weil wir nicht bereit sind, uns Tatsachen
überhelfen zu lassen, die unlogisch,
unsinnig und vor allem nachteilig für
unser Dorf sind. Wir dachten, die Zeiten,
in de-nen man Beschlüsse gefälligst
zu befolgen hat, die sind vorbei. Zudem
ist seit Bestehen des Amtes Emster-Havel
auch in den anderen Gemeinden vieles vorwärts
gegangen. Warum soll das jetzt stagnieren?
Warum sollen wir einen guten, sicheren
Weg verlassen, wenn wir auf dem neuen
die dicken Regenwolken schon sehen?
Kein Wuster verschließt sich Argumenten,
die er nachvollziehen kann, auch wenn
es für sein Dorf Veränderungen,
gar Nachteile mit sich brächte. Aber
gegen diktatorische Maßnahmen wird
er sich immer wehren. Das verlangt sein
Gerechtigkeitssinn.
Ihre Nachbargemeinde Gollwitz teilt Ihren
Enthusiasmus für das Amt nicht!
Damit haben wir kein Problem. Uns gefällt
die Wankelmütigkeit der Gollwitzer
ja auch nicht, aber wir ak-zeptieren den
Ist-Zustand. Mehrmals wurden dort Entscheidungen
getroffen und kurz darauf widerrufen.
Bei uns gab es von Anfang an eine klare
Tendenz, die in zwei Bürgerentscheiden
un-termauert wurde. Die Entscheidung der
Wuster war mehr als eindeutig: mit nur
elf Gegenstimmen bei 261 Stimmberechtigten
waren die Wuster für die Erhaltung
des Amtes Emster-Havel.
Warum haben Sie mit geradezu spektakulären
Aktionen gegen den Beschluss des Innenministeriums
protes-tiert?
Damit keinerlei Zweifel an unserer Entschlossenheit
aufkommt. Unsere Bürger-initiative
"Pro Emster-Havel" macht sich
unheimlich kreativ Gedanken, wie man gegen
Obrigkeits-Willkür vorgehen kann.
Wir sind mit einem Sarg vor den Landtag
in Potsdam gezogen, um symbolisch das
zu-Grabe-Tragen unseres Amtes zu zeigen.
Wir haben Transparente gedruckt und Schilder
angefertigt mit Sprüchen wie "Parole
- niemals aufgeben" oder "Eingemeindung?
Wehrt Euch!" oder "Keine Vergewaltigung
durch Herrn Schönbohm". Uns
stören einfach die unzähligen
Gesetzesvorgaben, die konstruktive Zusammenhänge
außer Acht lassen und eine vernünftige
Entwicklung verhindern. Deshalb sind wir
ja auch eine der vier Gemeinden, die eine
Verfassungsbeschwerde gegen die Zwangseingemeindung
angestrengt hat.
Heinz Schäfer, haben Sie nicht manchmal
angesichts dieser nervenaufreibenden Auseinandersetzungen
daran gedacht, aufzugeben und den Dingen
ihren obrigkeitsgewollten Lauf zu lassen?
Nicht wirklich! Freiwillig aufgeben?
Niemals! Erst wenn wir alle demokratischen
Mittel erfolglos genutzt haben, werden
wir uns zurückziehen. Eine vernünftige
Kompromisslösung ist auch immer machbar,
aber die gibt es nicht. Ich stoße
überall nur auf Kälte, Ignoranz
und Willkür. Und das wollen meine
Bürger und ich nicht dulden.
Womit könnte man Sie denn überzeugen?
Wenn die Stadt Brandenburg es schafft,
nachvollziehbar zu zeigen, dass sie ernsthaft
und erfolgreich daran arbeitet, von ihrem
Schuldenberg herunter zu kommen und wir
unsere kleinen Annehmlichkeiten wie Kita
und Gemeindearbeiter behalten können,
dann wären wir auch bereit, über
entsprechende Kompromisse nachzudenken.
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