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Meist liest man über Tageszeitungsmeldungen
wie diese hinweg: Wegen rückläufiger
Schülerzahlen muss die Schule XY
in Z ab Schuljahr Sowieso voraussichtlich
geschlossen werden. Dass es voraussichtlich
auch die Franz-Fühmann-Gesamtschule
in Jeserig treffen wird, kann und will
man nicht glauben. Denn es gibt an dieser
Schule wohl nichts, was es nicht gibt!
Gute Schüler, schlechte Schüler?
Ja!
Rabauken, Musterkinder? Ja!
Engagierte Lehrer, überforderte Pädagogen?
Ja!
Unzählige funktionierende Arbeitsgemeinschaften?
Ja!
Berühmte Leute bei Schulveranstaltungen?
Ja!
Teilnahmen an verschiedenen Wettbewerben?
Ja!
Schulleiterin Monika Nebel schmunzelt,
ihre blauen Augen blitzen vergnügt:
"Ach, Ideen habe ich noch genug!
Aber viel zu wenig Zeit, die alle mit
meinen Schülern, Lehrern, Eltern
und Partnern umzusetzen!"
Dieses scheinbar grenzenlose Engagement
der 49jährigen Vollblut-Lehrerin
macht die Franz-Fühmann-Gesamtschule
um einiges lebensnaher als andere Schulen.
"Seit für mich feststand, dass
ich Lehrerin werden will, habe ich geträumt.
Den Traum, Schule anders zu gestalten.
Nicht gegen die Schüler, sondern
mit ihnen wollte ich die für sie
so wichtige Zeit verbringen. Ich will
sie wirklich an die Hand nehmen, dazu
beitragen, dass sie selbstständige,
denkende, rücksichtsvolle und alltagstaugliche
Menschen werden."
An der Jeseriger Schule hat Monika Nebel
viele Lehrer gefunden, die genauso denken.
Für die es auch ein Leben mit ihren
Schülern nach dem Unterrichts gibt.
Seit 1992 bestimmt die blonde Kunst- und
Mathematiklehrerin die Ge-schicke der
Schule. Und seitdem überschlagen
sich die Aktivitäten, Aktionen und
Angebote. So beginnt im selben Jahr die
Schulchronik. Mittlerweile sind es ordnerweise
Fotos und Zeitungsartikel!
Um wirklich nah dran zu sein an den Kindern
und Jugendlichen, ihren Ängsten,
Sorgen und Freuden, funktioniert Monika
Nebel die Lehranstalt gleich Anfang der
90er zur Ganztagsschule um. Und sucht
nach einem besonderen Namen für ihre
besondere Schule. Armin Schubert von der
Kinder- und Ju-gend-Kunst-Galerie "Sonnensegel
e.V." in Brandenburg wiederum sucht
eine besondere Schule, der er den Namen
seines besonderen Freundes Franz Fühmann
verleihen kann.
"Das klang gut, die erste Franz-Fühmann-Schule
Deutschlands werden zu können.
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Über den
Köpfen der Schüler schweben
nicht nur Füllfederhalter und
Raumschiff im Speiseraum - sondern
auch das Damokles-Schwert der Schulschliessung
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An ihm hat uns sowohl sein künstlerisches
Schaffen also auch seine Persönlichkeit
fasziniert. Er hatte Ecken und Kanten,
war ein kluger, schwieriger, nachdenklicher,
unbequemer, hinterfragender Zeitgenosse,
ein wirklicher Mensch, wie wir von all
denen erfahren haben, die mit Franz Fühmann
befreundet waren. Und deshalb wollten
wir genauso und nicht anders heißen."
Mit dem ihr eigenen Perfektionismus macht
Monika Nebel Franz Fühmann für
die heutige Generation lebendig. "Jede
neue Klasse bekommt von mir persönlich
natürlich die wichtigsten Lebensdaten
unseres Schulnamensgebers. Ansonsten setzen
wir uns kreativ mit seinen Werken auseinander.
Die Schüler schreiben selbst, sie
setzen seine Gedichte und Geschichten
in Bilder um, sie lassen sich von Schriftstellerin
Christa Wolf, die sehr eng mit Fühmann
befreundet war, aus seinem Leben erzählen
und vieles andere mehr."
Hier kommt beispielsweise das fachübergreifende
Projekt "Lebenskreise" zum Tragen.
"Das ist die unserer Meinung nach
zeitgemäße Form, erfolg-reich
Wissen zu vermitteln", erklärt
Monika Nebel, "Viele Fächer
sind miteinander verwoben und beinhalten
Teile voneinander, werden aber getrennt
unterrichtet. Das ist doch total antiquiert.
In den skandinavischen Ländern und
in Kanada unterrichtet man schon seit
Jahren fachübergreifend und das mit
großem Erfolg. Wie lange wollen
wir in Deutschland denn noch Trends ignorieren
und bestürzt auf PISA-Studien reagieren?"
Während anderswo gezetert und über
Alternativen diskutiert wird, bereiten
die Lehrer unter ihrer Schulleiterin Monika
Nebel bereits ihre Schüler aufs Leben
vor. Geben ihnen Verantwortung, zeigen
ihnen Grenzen, eröffnen ihnen eine
kreative Freizeit- und Erlebniswelt. Im
schuleigenen Zirkus "Lalelu",
der auftritt, wo immer er gerne gesehen
ist. In der Fahrradwerkstatt, im Tanztheater,
in der Schreibwerkstatt, beim Kochen,
von Hobbyköchin Monika Nebel eigens
geleitet: "Eine Reise mit Messer
und Gabel - was man da alles hineinpacken
kann! Das ist Geografie, Lebensweise,
Hygiene, Miteinander, Mathematik, Physik,
Chemie, Religion
ach ja, in der
Wuster Kirche haben wir übrigens
eine thematische Ausstellung organisiert
mit Arbeiten unserer Schü-ler",
Monika Nebel holt nur kurz Luft, "und
mit den 10. Klassen geht es zur Berlin-Rallye.
Diesen besonderen Wandertag lieben die
Jugendlichen."
Denn das heißt: allein in Berlin
mit einem Berg konkreter Aufgaben. Festgelegte
Punkte anlaufen, knifflige Aufgaben erfüllen
und Antworten auf Fragen suchen.
Kurzum: hier wird lebensnahes Denken vermittelt.
Monika Nebels Begeisterung steckt an.
Ob sie und ihre Lehrer das beispielsweise
geplante Wassersportprojekt jedoch weiterhin
in Angriff nehmen können, wer weiß.
Denn sämtliche Aktionen zur Rettung
der Franz-Fühmann-Gesamtschule in
Jeserig waren bisher ohne Erfolg. Warum
im Nachbarort bei vier fehlenden Schülern
der Schulbetrieb weitergeht, in Jeserig
spätestens in drei Jahren das Licht
ausgeht, ist beim besten Willen nicht
zu verstehen.
Denn von einer derart "ver-Nebel-ten"
Schule können andere nur profitieren.
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