Gemeinde Eichwalde
     
     
 
 

Ein kleines Lebens-Paradies

 
 
Der damalige Anblick hat Familie Schleicher nicht von ihrem Vorhaben abbringen können

Schon von weitem nimmt man ihn wahr, den alten Wasserturm von Eichwalde.
Gebaut 1913, überragt er mit seinen 44 Metern Höhe fast alles andere im Ort. Als das backsteinfarbene Wahrzeichen nach dem Zweiten Weltkrieg sozusagen in den Ruhestand geschickt wurde, war sein Schicksal besiegelt: Verfall. Und so nagten mehr als 40 Jahre Wind und Wetter an der Außenhaut, rissen Löcher ins Dach, beschädigten Fensterscheiben, verbündeten sich mit Eisen zerstörendem Rost. Geld für einen Abriss war nie da. Doch seit der Turm "verschleichert" ist, blüht er von Jahr zu Jahr mehr auf.

Ein dickes Buch könnte man über die Eroberung des Eichwalder Wasserturms durch Familie Schleicher schreiben. Und nicht eine einzige Seite wäre langweilig. Atemberaubende Fotos und fesselnde Geschichten, die man besser nicht erfinden könnte, gibt es bergeweise. Schon den halbwüchsigen Wolfram Schleicher zog das marode wirkende Bauwerk magisch an. Täglich fuhr er mit seinem Fahrrad auf dem Schulweg daran vorbei, seit seine Eltern 1969 mit ihm nach Schmöckwitz gezogen waren. 1986 - aus dem kleinen Wolfram ist ein verheirateter Bauingenieur geworden, der mit seiner Frau Jutta, Sohn Richard und Tochter Anne-Katrin in Blankenfelde lebt.

Hier war die Wohnzimmerdecke doch ziemlich hoch!

Auf Wochenend-Fahrradtouren kommt die kleine Familie häufiger auch am alten Wasserturm in Eichwalde vorbei. Jutta, die Hydrologin, findet das Bauwerk sofort interessant: "Das ist aber schade, dass der Turm verfällt." Dieser Satz weckt in Wolfram den kühnen Gedanken, dieses Gebäude zu erhalten. Und die Hydrologin kennt den ersten Schritt - Schutzzonenkommission. Denn der Turm grenzt an die Fassungszone des Eichwalder Wasserwerkes.

So war das außergewöhnliche Bauvorhaben "Unser Eigenheim Wasserturm" geboren. Und fortan konnte die Schleichers nichts und niemand mehr stoppen. Nicht die Bürokratie zu Ost- noch zu Westzeiten. Nicht der Blick in die meterhohe, kalte, total verdreckte, nasse, gruselige Wasserturm-Innenröhre, wo alles nicht nur verkeimt, sondern vor allem nach viel Arbeit roch. Nicht einmal der Baustoff-Mangel à la DDR konnte den Enthusiasmus der jungen Leute bremsen. 1988 - die Schleichers legen los. Das Wichtigste zuerst: die Abdichtung des Daches. Mit noch funktionstüchtigen Ziegeln des alten Wasserturms sowie diversen Restziegeln, unter anderem von der evangelischen Kirche Eichwaldes, wurde es in Eigenleistung gedeckt, während man in den zuständigen Amtsstuben noch prüfte, ob und wie der Turm an die Schleichers verkauft werden könnte. Die Überlegungen dazu dauerten noch über ein ganzes Jahr, bis Familie Schleicher ihr Traum-Eigenheim per Kaufvertrag in der Tasche hatte. 1990 - ein Jahr nach dem Mauerfall hielt Familie Schleicher stolz die Baugenehmigung zum Ausbau des Turmes in den Händen. Nun ging es erst richtig los. In jeder freien Minute, an den Wochenenden und im Urlaub wirbelten sie an ihrem Traum. Dank der aus dem Boden sprießenden Baumärkte mit wunderbarem Angebot und der Hilfe der Eltern konnten Stahlbetondecken, Treppenkonstruktionen, Wände mit Holzverkleidungen, die gesamte Heizungs- und Sanitäranlage eingebaut sowie zig Hektoliter Wandfarbe verstrichen werden. Und so lebt die sympathische Familie seit Dezember 1996 ihren Wohn-Traum im alten Wasserturm von Eichwalde, der sich bisher über drei Licht- und zwei Dunkeletagen erstreckt.

Sohn Richard Schleicher - vielleicht mal ein gefragter Musiker?

Doch irgendwann geht das Baugeschehen weiter, denn der Rundgang-Raum genau unter dem alten stählernen Wasserkessel soll das eigentliche Wohnzimmer werden. Genauso gemütlich, aber viel heller als das im Erdgeschoss. Und auch hier wird, wie in allen anderen Räumen des Turm-Hauses, viel Einrichtungsgeschick nötig sein - eine echte Herausforderung bei runden und noch dazu geneigten Außenwänden und kaum Platz für große Schränke. "Das sind doch keine Probleme für uns! Als wir anfangs im Winter 96/97 bei maximal 18 Grad Innentemperatur mit Anorak in der Stube saßen - schließlich wurde der Turm nach 80 Jahren erstmalig beheizt - oder als nach Frühlingseinbruch das getaute Kondenswasser vom Stahlwasserbehälter sich ausgerechnet in unseren Betten wieder fand, da glaubten wir, ein Problem zu haben." Selbst das Treppensteigen zwischen den vielen Stockwerken kostet sie alle ein Lächeln. "Das schult ungemein den Geist", schmunzelt Dr. Jutta Schleicher. "Was glauben Sie, wie genau man überlegt, was man in welche Etage mitnehmen und aus welcher mitbringen will, um nicht mehrmals laufen zu müssen." Beide ahnen die folgende Frage: "Noch sind wir ja nicht alt und gebrechlich. Und bis es soweit ist, haben wir auch dafür eine Lösung gefunden!" Und bis dahin hat Dr. Wolfram Schleicher noch mehr große und kleine Brücken in ganz Deutschland berechnet und Heilpraktikerin Dr. Jutta Schleicher vielen Patienten neuen Lebensmut gegeben. Aus Richard Schleicher ist vielleicht ein gefragter Wirtschaftsgeograf geworden und Anne-Kathrin hat sich in die Kunstszene der Welt eingebracht.

Familie Schleicher ist sich einig - der Ausblick vom Turm, sowie die Sonnenauf- und untergänge entschädigen für alles

"Das Leben im Wasserturm ist jetzt schon Normalität", stellen sie verblüfft fest. "Allerdings, wenn wir darauf angesprochen werden, merken wir, dass es wohl doch etwas Besonderes ist." Manchmal auch ein bisschen mehr. "Denn wer kann schon nachts Klavier spielen, ohne den Nachbarn zu stören? Das ist doch Luxus, oder? Hart erarbeiteter, zugegeben, aber auch jeder Sonnenuntergang, den wir erleben dürfen, entschädigt uns doppelt und dreifach."

 

 
Vorwort
Humboldt-Gymnasium
Leben im Wasserturm
Extravagante Kunst
Interview
Kirche mit neuen Tönen
SV Aljax Eichwalde e.V.
Robert Gordian
Textilkunst
Eichwalder Orginale
Thomas Natschinski
 
 
 
Übersichtskarte
 
 
 
 
Ausgabe06/07
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