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Von Kindesbeinen
an bis heute lebt Thea Labes
ihren Traum von der Musik |
Dieses Belzig ist ja ganz hübsch.
Ein, zwei Jahre wirst du´s
hier aushalten - dachte sich die
knapp 20jährige Thea Labes,
als sie am
1. März 1957 die Stelle als
Kirchenmusikerin antrat. Dass die
gebürtige Stralsunderin ihr
gesamtes Leben hier blieb, lag einzig
und allein an der Liebe - an der
Liebe zur Musik.
Und die wurde ihr sprichwörtlich
in die Wiege gelegt. "Mein
Großvater war Kirchenmusiker
und ich habe am selben Tag Geburtstag
wie Johann Sebas-tian Bach. Noch
Fragen?" blitzt es aus ihren
warmen braunen Augen. Mit einer
Entschlossenheit, die keinen Zweifel
zulässt. Was Thea Labes sich
in den Kopf setzt, zieht sie mit
eisernem Willen durch. Das war schon
immer so. Selbst Vater Labes versuchte
vergeblich, seine einzige Tochter
von der Musik abzubringen. Abi sollte
sie machen und "etwas Ordentliches
studieren". Doch schon mit
15 hatte die Halbwüchsige nur
Noten, Klänge und Töne
im Kopf, schmiss die Schule und
bewarb sich erfolgreich an der Kirchenmusikschule
in Greifswald. Ein Jahr später
wechselte sie nach Dresden und hatte
mit 19 ihren Abschluss als Kirchenmusikerin
in der Tasche. Der Versöhnung
mit dem Elternhaus folgte der Berufsanfang
in Belzig. Der damalige Superintendent
Günter Krolzig teilte die Leidenschaft
der jungen Thea für die Musik,
denn auch seine
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Steinesammeln
- das andere Hobby von Thea
Labes |
Tochter Anneliese lebte dafür.
Im Handumdrehen waren die beiden
Frauen befreundet. "Eine perfekte,
lebenslange Freundschaft",
bemerkt die drahtige alte Dame traurig,
denn Anneliese Krolzig starb im
vergangenen Jahr. "Seitdem
muss ich mich mit Faxgeräten,
Waschmaschinen, Telefonapparaten
und anderem technischen Zeugs beschäftigen
und das fällt mir verflixt
schwer." All das hatte Anneliese
übernommen, da die beiden Freundinnen
eh nebeneinander wohnten. So konnte
sich Thea Labes ungestört der
Musik widmen.
Obwohl Thea Labes mehrmals am Tag
am kleinen schwarzen Flügel
vorbei muss, hat sie doch nur wenig
Zeit zum Spielen seit ihrer Pensionierung
vor zwei Jahren. "Ich bin von
früh bis spät beschäftigt.
Als Vertretungs-Organistin, Dirigentin,
Chorleiterin, Chorsängerin,
Vorsitzende der Reißiger-Gesellschaft,
Turmbläserin, Notenschreiberin
" Amüsiert registriert
sie den irritierten Blick der Reporterin.
"Ja, Notenschreiberin. Ich
habe in der Sächsischen Landes-
und Universitätsbibliothek
einige Werke von Carl Gottlieb Reißiger
entdeckt. Unter anderem sein einziges
Oratorium, von dem man dachte, es
sei irgendwo in Amerika verschollen.
Die 400 Seiten Partitur dieses 'Oratorium
David' habe ich abgeschrieben."
Alle anderen von Reißiger
handgeschriebenen Manuskripte will
Thea Labes nach und nach bearbeiten,
damit sie gedruckt und gespielt
werden können. Auf diese Weise
erfüllt sie sich einen kleinen
Traum. Ein großer ginge in
Erfüllung, wenn sie mithelfen
könnte, aus dem wunderschönen,
nach der Wende restaurierten Geburtshaus
des größten musikalischen
Sohnes Belzigs ein echtes Reißigerhaus
zu machen. "Also so richtig
mit Gedenkstube und Treffpunkt für
die Reißiger-Gesellschaft."
Mutet sich die 67jährige da
nicht ein bisschen viel zu? "Ach
was, wer sich wie ich während
eines Konzertes mal schnell einen
Herzinfarkt geleistet hat, der wird
doch auch noch anderes schaffen,
oder?" Wieder hat sie das entschlossene
Blitzen in den Augen. Und fügt
genauso bestimmt hinzu: "Nur
meinen Mittagsschlaf darf man nicht
stören. Den brauche ich, sonst
bin ich nicht zu gebrauchen."
Einbildung? "Nein, zu niedriger
Blutdruck, da ist das normal."
Thea Labes blickt zur Uhr, genehmigt
sich noch eine filterlose Zigarette
und zuckt bedauernd mit den Schultern:
"Mein nächster Termin
Entschuldigung." Festen
Schrittes steigt sie die historischen
Holzstufen in "ihrem"
Reißigerhaus hinab und verschwindet
winkend mit ihrem roten Renault
um die Ecke.
Carl Gottlieb Reißiger
* 31. Januar 1798 in Belzig
7. November 1859 in Dresden
Carl Gottlieb Reißiger wurde
als Kantorssohn im nach ihm benannten
Haus in Belzig geboren. Er besuchte
die Thomasschule in Leipzig, lernte
bei Schicht, Winter und Salieri
in Wien und studierte zudem an der
Leipziger Universität Theologie.
Seine musikalischen Studien betrieb
er im Auftrag des preußischen
Innenministeriums in Frankreich
und Italien, bevor er 1828 Nachfolger
von Carl Maria von Weber als 1.
Hofkapellmeister der Sächsischen
Hofkapelle Dresden wurde. In dieser
Zeit vertonte Reißiger zahlreiche
lateinische und liturgiebezogene
Texte.
Reißigers Kompositionswerk
umfasst 60 Lieder, neun Opern, das
Oratorium David sowie zahlreiche
lateinische und deutsche Messen.
Daneben wurde er auch durch die
Uraufführung von Wagners Rienzi
(1842) bekannt. Seine Autographien,
Abschriften und Drucke sind über
ganz Europa verstreut, befinden
sich teilweise in unbekanntem Privatbesitz.
Den größten Teil besitzt
die Sächsische Landes- und
Universitätsbibliothek in Dresden.
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