Seit
1999 ist Liebertwolkwitz nun keine eigenständige
Kommune mehr. Ist es Fluch oder Segen,
ein Leipziger Ortsteil zu sein?
Dr. Zerling:
Ein Segen ist es bestimmt nicht. Genau
wie wir es damals befürchtet haben,
sind die eingemeindeten Dörfer für
die Stadt Leipzig nur das fünfte
Rad am Wagen.
Worauf stützt sich dieses harsche
Urteil?
Dr. Zerling:
Vor der Eingemeindung standen wir wirtschaftlich
und städtebaulich richtig gut da.
Wir hatten viel in den Straßenbau
und die Ortskernsanierung gesteckt, so
dass wir davon heute noch zehren. Auch
dass wir vor der Eingemeindung noch unsere
neue Schulturnhalle errichteten, zahlt
sich heute aus. Denn seit der Eingemeindung
sind kaum noch Investitionsmittel nach
Wolks geflossen, lediglich anfangs noch
ein paar projektgebundene Fördermittel.
Im Gegenteil: Trotz einiger noch immer
verwahrloster Ruinen im Wolkser Zentrum
soll nun das Ortskernsanierungsprogramm
abgeschlossen werden. Weshalb? Weil ab
diesem Moment die Sanierungsbeiträge
der Anwohner eingefordert werden können.
Mit den zu erwartenden berechtigten Protesten
unserer Bürger darf sich dann der
Ortschaftsrat rumschlagen. Wir kämpfen
schon jetzt um eventuelle Erleichterungen
für die Betroffenen.
Woran liegt das gespannte Verhältnis
zur Stadt Ihrer Meinung nach?
Dr. Zerling:
Weil Leipzig es bis heute nicht gelernt
hat, mit den zugewonnenen Randgemeinden
zu leben und diese differenziert zu betrachten.
Es ist doch ein Unding, dass beispielsweise
die Händler auf unserem kleinen Wochenmarkt
die gleichen Gebühren zahlen müssen
wie in Leipzig auf dem Platz vorm Bayrischen
Bahnhof. Oder nehmen wir die Grundsteuern.
Die sind nun auch so hoch wie in der dichtbesiedelten
Innenstadt. Da fehlt jedes Augenmaß!
Gibt es wirklich nichts Positives?
Dr. Zerling:
Wenn's das nicht gäbe, könnten
wir den Ortschaftsrat auflösen. Ein
großer Erfolg war, dass wir es geschafft
haben, die Planung für die Erweiterung
unserer Grundschule in den Leipziger Haushaltsplan
zu bekommen. Derzeit laufen die Ausschreibungen.
Unser Ziel ist es, der sich in den letzten
Jahren konzeptionell zur Ganztagsschule
in voll gebundener Form entwickelten Grundschule
endlich die erforderlichen Räumlichkeiten
zu verschaffen.
Das Projekt mit gemeinsamen Schul und
Hortkonzept gilt deutschlandweit als vorbildlich.
Ein weiterer Erfolg ist der derzeitige
Bau des AWOSozialzentrums mit einem Alten
und Pflegeheim in Liebertwolkwitz. Wir
schlagen mit dieser Klappe gleich zwei
Fliegen, wie man so schön sagt: Zum
einen verbessert das Sozialzentrum die
Infrastruktur des Ortes, schafft Arbeitsplätze
und zum anderen werden dabei zwei, die
Marktansicht prägende Gebäude
vor dem Verfall bewahrt. Im Dezember 2011
sollen die ersten Heimbewohner einziehen.
Wir freuen uns darauf.
Und um welche Projekte ringt der Ortschaftsrat
im Moment?
Dr. Zerling:
Das sind zwei wichtige Rad/Gehwege. Der
entlang der Alten Tauchaer Straße
zwischen Jahnstraße und ClemensThiemeStraße.
Als wichtiger Schulweg ist er derzeit
viel zu eng und zu gefährlich. Der
andere Weg ist der zwischen altem und
neuen Ortsausgang entlang der Naunhofer
Landstraße. Hier steht die Sicherheit
der Anwohner in der Siedlung an der ehemaligen
Leipziger Deponie im Mittelpunkt. Zwischenzeitlich
stehen die beiden Wege in der Planung
der Stadt an vorderster Stelle.
Wie steht es um die Bevölkerungsentwicklung
in Wolks?
Dr. Zerling:
In den letzten Jahren ist Wolks gewachsen,
vor allem durch das BaywobaNeubaugebiet.
Doch viel mehr als die derzeit rund 6000
Einwohner werden es nicht mehr werden.
Denn jetzt werden in Liebertwolkwitz langsam
die Wohnungen knapp und neue Wohngebiete
wird es definitiv nicht geben. Das ist
auch im Interesse des Ortschaftsrates.
Aber die meisten anderen Orte wollen
doch auch möglichst viele Einwohner
gewinnen?
Dr. Zerling:
Uns liegt mehr daran, unsere dörfliche
Struktur zu bewahren und lieber die Infrastruktur
zu entwickeln, damit es noch mehr Spaß
macht, ein Wolkser zu sein und zu bleiben.
Davon abgesehen, Mehreinnahmen durch die
Einkommenssteuer zugezogener Bürger
gehen natürlich grundsätzlich
ins Leipziger Stadtsäckel und werden
auch von dort verteilt.
Und was gehört für Sie zu
dieser guten Infrastruktur?
Dr. Zerling:
Zum Beispiel die unterdessen gut ausgebaute
Prager Straße nach Leipzig hinein
sowie deren Wolkser Ortsumgehung. Damit
ist allerhand Durchgangsverkehr zur und
von der A 38 eliminiert. Gern würden
wir auch die B 186 aus den Ort herausnehmen,
doch der Umgehungsplan der 90er Jahre
wird wohl noch lange auf Eis liegen bleiben.
Gut ist die Anbindung durch die Mitteldeutschen
Regionalbahn zum Leipziger Hauptbahnhof.
Allerdings wäre eine höhere
Taktfrequenz sehr wünschenswert.
Wenn es uns gelingen sollte, auch die
Straßenbahn Richtung Leipzig, die
Anfang der 70er Jahre eingestellt wurde,
zu reaktivieren, wäre es gewaltig.
Aber das ist derzeit nur ein Traum.
Was ist das besonders Liebenswerte
an Wolks?
Dr. Zerling:
Natürlich die Wolkser! Die tun vieles
dafür, ihre Identität zu wahren.
Denn Wolks ist was Besonderes: weder städtisch
anonym, noch dörflich provinziell.
Dafür spricht ein überaus reges
Vereinsleben. Bei knapp 6.000 Einwohnern
haben wir über 20 Vereine. Allein
der Sportverein hat über 500 Mitglieder.
Die verschiedenen Vereine arbeiten auch
gut Hand in Hand und nicht gegeneinander.
Dadurch ist Wolks auch über die Grenzen
Leipzigs hinaus recht bekannt. Beispielsweise
hat unser Jugendorchester internationales
Renommee. Und wer erwartet im sächsischen
Flachland schon eine schlagkräftige
SkisportAbteilung? Die Wolkser Skisportler
kennt man deutschlandweit seit über
100 Jahren! Wenn eine Feststellung zutrifft,
dann diese: Unser Ort lebt!
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